RadioDifficulture 20200322 — What the Hell is Creativity / Was zum Teufel ist Kreativitaet?



RadioDifficulture
Radiosendung vom 22. Maerz 2020
Radio LoRa, 97.5 MHz — SO21, 21.45 Uhr

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What The Hell is Creativity — Was zum Teufel ist Kreativitaet
Als Video-Tableau-Vivant, 30 min
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Kinder sind die Protagonisten der Kreativitaet. Im Flow der Aufmerksamkeit, sind sie faehig, das was sie zuerst hervorbringen sogleich als lebendiges Gegenueber zu sehen. Damit haben sie den Schluessel, mit dem sie die Welt beliebig und schnell wirksam modulieren koennen. Bis ihnen ihre Visionen ausgetrieben werden und sie der Realitaetssinn eines besseren belehrt . . .

Kreativ zu sein, passt zu jedem Charakter, der sich in einem offenen Kreis manifestiert, oder sich in der Materie mit dem Hinterlassen von Spuren beschaeftigt. — »Kreativ» bin ich vor dem Schminkspiegel, beim Schuhe kaufen, im Management-Workshop, bei der Zusammenstellung meiner Garderobe, oder in der Wahl meiner Argumente, und natuerlich — vielleicht am wichtigsten: beim Kochen und beim Sex. Auf SnapChat habe ich die Moeglichkeit, meinem Konterfei Hasenohren oder Vampirzaehne zu verpassen. Doch die Kreativitaet, die voraussetzt, dass ich mir zuerst ein Equipment erwerbe, ist nicht ganz dieselbe wie jene, die mir durch mein visionaeres Potenzial eroeffnet wird.

Ist Kreativitaet eine Grundkonstatnte, die jedem Menschen eigen ist? Ist sie eine andere Bezeichnung fuer die Gewitztheit des Denkens und Sehens, zu dem jeder Mensch faehig ist? — Oder andersrum gefragt: ist es die Angst, die mich daran hindert, kreativ zu sein, oder der Umstand, dass Regale bereits uebervoll mit Produkten sind, die wir vielleicht erfinden muessten, wenn es sie noch nicht gaebe. — »Angst essen Seele auf», heisst ein Film von Rainer Werner Fassbinder, und Angst ist sicher etwas, was die Kreativitaet einschuechtert, aber will ich mir an der Frage, was die Seele ist, die Zunge verbrennen?

Wenn die Phantasie sturmlaeuft, koennen wir unsere Geschichten am besten im Rudel ueber weite Felder durch dramatische Schluchten galoppieren lassen. Was noch nicht existiert, in die Realitaet zerren — wenn auch »nur» im Traum. — Kreativitaet muss eine transzendente Disziplin sein: ich transformiere Inexistentes in die Existenz. Und dann kommt vielleicht einer, der mir meine Luftschloesser wieder zunichte macht.

Kreaturen — Kreatoren — Kreativ ist Gott, der grosse Vorkursschueler, der uns aus Lehm geformt hat und im kindlich-goettlichen Spiel aus versehen die Welt in sieben Tagen erschaffen hat. Kreativ ist auch Moses der Fallensteller, der durch seine List die Menschen glauben machen konnte, einen direkteren Draht zum allmaechtig-unheimlichen Geist jenseits der Materie zu haben. — Im Schatten des glaenzenden Werkes lauert immer der drohende Zerfall.

Und kreativ ist jedes Kind, — aber offenbar nur jedes Kind der Spiel-, Tanz- oder Fragetiere. Scheinbar sind es aber nicht die Tiere, die weder Haende, noch Werkzeuge, noch Musikinstrumente haben. — Es tut mir leid, liebe Fische, Froesche oder Vogelkinder. — Zum Besipiel die Ameisen: Sie gelten als nicht besonders kreative Einzelwesen. Aber mit ihren Schwarm-Staatswesen haben sie doch grossartiges hervorgebracht. Wer kann also noch reinen Gewissens behaupten, Ameisen seien nicht kreativ? Und auch ihre nahe verwandten Bienen- und Wespenarten waren wohl an der Kreation der Blumen und Pflanzen massgeblich beteiligt. Die Weibchen der Voegel, die mit ihrem stilsicheren selektiven Farbe- und Formempfinden die schoensten Maennchen der Tierwelt hevorgebracht haben, koennten als kreative Heldinnen der Evolution gelten. Weil die Maennchen weniger distinguiert auswaehlen, haben sie die Potenziale des Selktionsdesigns gar nicht erst entdeckt, dafuer singen die Saenger unter ihnen Lieder — jeder sein eigenes — wiederum um die style-bewussten Weibchen zu beeindrucken.

Allerdings sind es bei den Tieren eigentlich nie die genialen Einzelwesen, die die herausragenden Werke schaffen. — Nein, die Tiere arbeiten eher im Team! — Noch schwieriger ist es, den kreativen Willen bei den Pflanzen zu entdecken, die sich nicht durch die Zusammenarbeit mit den Insekten entwickeln konnten. Wer war denn da kreativ? Ich verbiete mir, dahinter ein menschenaehnliches Wesen zu vermuten — so »spezie-zentrisch» bin ich nicht! — Aber es ist vielleicht das Gemisch aus Licht, Wasser, Sauer- und Kohlenstoff, Schwefel, Fosfor und bewegender Waerme, Nukleinsaeuren und Eiweisshuellen, das in seiner Eigendynamik selber kreativ werden kann? Bauen sich die Formen und Funktionen der pflanzlichen, pilzlichen und schliesslich tierischen Koerper auf den kristallinen Strukturen der Atome und Molekularverbindungen und aus den Phantasien viraler Prozesse auf? — Allerdings waere die Intelligenz, die dazu noetig waere eher die einer Wolke als die eines Gehirns. Aber sind Gehirne vielleicht selber Wolken? — Wie soll das Woelkchen meines eigenen Gehirnes es wissen?

Verwendet wurde ein Ausschnitt aus dem oeffentlichen Video »John Frusciante — On the origin of creativity»:

Das gesamte »John Frusciante Interview on Creativity & Inspiration»: